Behandlungskonzept für Legasthenie und Dyskalkulie

Pädagogisch-therapeutisches Konzept

Wir gehen in unserer Arbeit davon aus, dass Legasthenie (isolierte Lese-, isolierte Rechtschreib-, oder Lese-/Rechtschreibstörung) wie auch Dyskalkulie (Rechenstörung) als schwerwiegende Lernstörungen des Kindesalters zu verstehen sind1, die in den meisten Fällen von emotionalen (psychischen) bzw. Verhaltensstörungen begleitet werden.2 Seelische Probleme, Verhaltensauffälligkeiten, psychosomatische und psychosoziale Schwierigkeiten sind in den meisten Fällen als Begleiterscheinungen der Teilleistungs- bzw. Lernstörungen zu sehen.3 Bei Schülern mit den obengenannten Problemen werden oft körperliche Beschwerden wie Schlafstörungen, Bauch- und Kopfschmerzen, Kreislaufattacken, Herzrhythmusstörungen u.Ä. diagnostiziert.4 Nicht selten lassen sich dabei auch Konzentrationsprobleme feststellen.
Eine Legasthenie ist von einer LRS abzugrenzen. Nach zahlreichen wissenschaftlichen Studien ist Legasthenie eine genetisch bedingte, erbliche Lernstörung, die aufgrund einiger gestörter Sinnesbereiche (Gedächtnis/Differenzierung/Serialität optisch oder akustisch, Raumwahrnehmung, Fein-, Grobmotorik etc.) auftritt.5 Erschwerend kommt hinzu bei legasthenen Kindern eine unzureichend entwickelte phonologische Bewusstheit.
LRS wird jedoch als eine erworbene Lese- Rechtschreibschwäche gesehen, die vorübergehender Art ist und deshalb auch anders behandelt wird (z.B. durch Nachhilfeunterricht).6 Entstehungsgründe einer Dyskalkulie sind vergleichbar mit der Legasthenie und liegen im Bereich der gestörten Sinneswahrnehmung.7

Eine bereits aufgetretene Legasthenie oder Dyskalkulie kann die gesamte schulische Laufbahn des Betroffenen überschatten. Kann das Kind aufgrund seines eingeschränkten Leistungsvermögens die Mängel in seinem schulischen Erfolg nicht ausgleichen, sind die Möglichkeiten sozialer Integration insgesamt erschwert. Lerngestörte Kinder und Jugendliche fühlen sich isoliert, glauben minderwertig zu sein, sind in Gefahr, völlig zu resignieren. Eine nicht behandelte Legasthenie  bzw. Dyskalkulie ist ein schlechtes Vorzeichen für den gesamten Lebenslauf der Betroffenen.8

Aufgrund des oben Erläuterten lässt sich folgern, dass die Behandlung eines von Legasthenie oder Dyskalkulie betroffenen Kindes nur als ein Komplex pädagogisch-psychotherapeutischer Maßnahmen erfolgen darf, um die aufgetretenen psychischen Probleme zu beheben und zu Verbesserungen im Symptombereich (Lesen, Schreiben, Rechnen) beizutragen, was unsere zehnjährige Erfahrung in der praktischen Arbeit und Forschung auf diesem Gebiet auch bestätigt. Durch diese Arbeit entstand unsere ganzheitliche Legatrain-Methode, die zur erfolgreichen Behandlung der legasthenen und dyskalkulen Kinder führt.

Als eine der wichtigsten Aufgaben wird von uns das Aufbauen des seelischen Gleichgewichts gesehen, worunter wir das Steigern des Selbstbewusstseins, der Selbständigkeit sowie den Abbau der Versagens- und Sozialängste des Schülers verstehen. Dafür werden Spielsituationen eingeleitet, therapeutische Gespräche sowie sozial-kommunikatives Training zwecks Verminderung innerer Spannungen geführt. Als wichtiger Teil des Trainings versteht sich auch die dazu gehörende Verhaltenstherapie.

Die Basis für ein erfolgreiches Training des Symptombereiches schafft das ganzheitliche Trainieren der gesamten Wahrnehmung, das durch Einsatz von vielfältigem Trainingsmaterial, sowie durch gezielte fein- und grobmotorische Übungen erfolgt.

Nicht minder wichtig für das erfolgreiche Legasthenie-/ Dyskalkulietrainig ist die Arbeit an der Konzentration und Aufmerksamkeit des betroffenen Schülers, ohne die eine Verbesserung der Lese-, Rechtschreib- oder Rechenfertigkeiten nicht möglich ist.

Bei der Förderung der oben genannten Fertigkeiten wird der Schwerpunkt auf das kognitive entdeckende Lernen gelegt.9

Zum Trainieren der Lesefertigkeit wird die syllabierende Methode angewendet (stakkatierendes Lesen)10sowie die Methode von Dr. Dummer-Smoch (Kieler Leseaufbau). Es wird davon ausgegangen, das die Silbe als die kleinste phonetisch-phonologische Grundeinheit des Wortes optisch am einfachsten zu erfassen ist. Außerdem gelten Silben als sprechmotorische Einheiten der Lautsprache, über die das Kind unbewusst verfügt und die es nach Bedarf aufgabengemäß einsetzen kann.11

Das Rechtschreibtraining erfolgt nach dem morphematischen Prinzip. Durch Erstellen von Wortbildern wird dabei die Verknüpfung zwischen verbalem und bildhaftem Gedächtnis geschaffen, genauso wie durch das Ertasten der vorbereiteten Wörter die Verbindung zwischen Tast- und verbalem Gedächtnis hergestellt wird, um das Einprägen der Problemwörter zu ermöglichen. Die Arbeit an der Logik der Rechtschreibung sowie das Vermitteln bestimmter, für Legastheniker geeigneter Lernstrategien, haben wir ebenso zu unserer Aufgabe gemacht.

Für die Arbeit im mathematischen Bereich bei Kindern mit Dyskalkulie wird unter anderem das Montessori Material verwendet, das die Möglichkeit bietet, bei pädagogisch korrekter Anwendung anschaulich und hantierend dem Kind mit Rechenstörungen Hilfe zum Bewältigen seiner Schwierigkeiten zu leisten und es mit den Grundrechenarten und den logischen Gesetzen der Mathematik vertraut zu machen.

Das Wichtigste in der Arbeit mit den von Legasthenie und Dyskalkulie betroffenen Kindern und Jugendlichen ist, dass sie in einer vertrauten Atmosphäre lernen, ihre Lernstörung zu akzeptieren, damit richtig umzugehen, ihre Lernhemmungen sowie bereits entstandene Phobien zu überwinden, mit den Gleichaltrigen und Erwachsenen zu kommunizieren. Somit wird der Gefahr einer sozialen Isolation und einer seelischen Behinderung bei Kindern und Jugendlichen vorgebeugt.

1Vgl. Dilling at. al. 1991, S.255
2Vgl. Milz, 1980
3Vgl.z.B. Milz, 2006; Hellwig, 2010; Mutzek, 2000; Myschker, 2009
4Nachzulesen z.b. bei Singer, 2009
5Vgl. Schulte-Körne, 2004
6Vgl. Klasen, 2003
7Vgl. Grissemann, 2004; Dilling, 1993; v.Aster, 2005; Erhardt, 2005
8Vgl. Klasen, 1999
9Vgl. Hellwig, 2009a; 2010
10Hellwig, 2009, 2009a
11Vgl. Troßbach-Neuner, 1992, S.23